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Reisebericht: Hoshino, 14. April 2023

Landschaft in HoshinoNach einem heissen Bad in den berühmten Ureshino Quellen machen wir uns auf den Weg nach Hoshino. Unsere nächste Destination liegt nicht entfernt, sie ist südöstlich weiter im Inland der Insel, aber die Fahrt dahin zieht sich.
In Komfort betreffend stetig absteigender und den Charme betreffend stetig zunehmender Reihenfolge reisen wir mit der japanischen Bahn beschwingt Richtung Yame: Erst Shinkansen, dann Limited Express Line, anschliessend ein Regional Zug und zum krönenden Abschluss ein uralter, stickiger Dieselzug.

Wir steigen in Ukiha aus, näher an Hoshino kommen wir mit dem ÖV nicht ran. Nach einer stärkenden Udonsuppe im einzigen offenen Lokal, suchen wir uns ein Taxi. Auf der Strasse ist nichts zu finden, also fragen wir am Bahnschalter. Ein paar Minuten später fährt ein alter Wagen vor und ein schrulliges, altes Männchen mit weissen Stoffhandschuhen öffnet uns die Tür. Wie alle japanischen Taxis, in denen ich bisher sass sind auch hier die Sitze mit Decken aus weisser Spitze bekleidet. Als wir dem Fahrer in gebrochenem Japanisch unsere Destination Hoshino-mura bekannt geben, gerät er in Aufregung und macht per Funk, uns unverständliche, Abklärungen. Nach einiger Zeit fahren wir dann aber doch los.
Hoshino ist wirklich abgelegen. Durch einen langen Tunnel gelangen wir ins nächste Tal, das Auto kurvt eine halbe Stunde durch enge Strassen. Die Landschaft ist fabelhaft wild, die Luft dunstig weiss vom Nebel. Endlose Wälder, kleine Bäche, moosbewachsene Mauern und kleinere Teegärten ziehen am Fenster vorbei.

Von Links: Kenji Sakada, Hiromasa Suyari, Tobias Hurschler, Shinya YamaguchiAls wir bei unserem Kontakt Hoshino-Seichaen ankommen beginnt es zu nieseln. Die Firma ist einiges grösser als die Letzte, die wir besucht haben, aber ebenso ein Familienbetrieb. Uns wird ein formaler Empfang bereitet. Ziemlich zerzaust, in Reisekleidung und mit grossen Rucksäcken bepackt stehen wir vor fünfzehn sich verbeugenden MitarbeiterInnen. Nur unter Schwierigkeiten entkomme ich der Situationskomik. Alle tragen entweder Anzug oder einen grauen Overall.

Wir werden in einen grosszügigen Raum geführt, zu Beginn werden Visitenkarten und Höflichkeiten ausgetauscht. Die Wände sind tapeziert mit Urkunden und Auszeichnungen. Die Pokalvitrine von Teewettbewerbstrophäen randvoll.
Wir werden kurz begrüsst von Herrn Yamaguchi senior und sitzen dann mit drei MitarbeiterInnen zusammen. Mit dabei sind die Tochter der Familie Yamaguchi, Reiko Koga, mit der wir regelmässigen Kontakt haben, da sie für den Export zuständig ist. Dazu Hiromasa Suyari, der gleich alt ist wie ich, ausgezeichnet Englisch spricht und die Übersetzungen während unseres Besuches übernimmt. Und schliesslich Kenji Sakada, den Kaspar noch von seinem letzten Besuch kennt. Trotz den Formalien ist die Stimmung herzlich und entspannt. Es wird feinster Tee serviert, wir richten Grüsse von Kazuhisa aus, der mit der Familie Yamaguchi bekannt ist.

Kenji Sakada öffnet den beschatteten Teegarten für unsNach dem Empfang gehen wir raus und besichtigen einen Garten für Wettbewerbs-Gyokuro, der unmittelbar neben dem Gebäude steht. Wir werden begleitet von einem weiteren Familienmitglied, Shinya Yamaguchi, der Gewinner im (höchsten) 10. Rang mit perfekter Punktzahl des japanischen Teeverkostungswettbewerbs "National Tea Judging Skills Competition" ist. Die Teebüsche werden von Hand gepflückt, dazu mehr im nächsten Reisebericht. Im Gegensatz zu den meistens anderen Gärten, die eher wie sorgfältig gestutzte englische Hecken aussehen, wachsen diese Pflanzen scheinbar ungestört vor sich hin. Die Büsche stehen viel weniger dicht aneinander, die einzelnen Zweige sind ausladender. In diesem Garten wird Saemidori und Tsuyuhikari angebaut. Beides beliebte Varietäten für Gyokuro. Der Unterschied zwischen den beiden Kultivaren ist von Auge gut sichtbar. Grösse, Form und Farbe der Blätter, sowie der Weise wie die Büsche wachsen, die einen eher rundlich üppig, die anderen eher schlank und hoch.

Frische Blätter der Varietät Saemidori unter der BeschattungFrische Blätter der Varietät Tsuyuhikari unter der BeschattungToby und Kaspar zwischen den beschatteten Teepflanzen

Kaspar und Toby mit Miyahara-sanWir steigen ins Auto und fahren in nahegelegene Teegärten von Hoshino. Im Gegensatz zu Ureshino dürfen hier Teeendverarbeiter auch selber Gärten besitzen und bewirtschaften. Shinya Yamaguchi erklärt uns, dass Hoshino-Seichaen selber Testpflanzungen macht, um mehr über die verschiedenen Varietäten herauszufinden und Erfahrungen mit deren Umgang zu sammeln. Pflege, Düngung, Wetter- und Schädlingsbeständigkeit. Alles Faktoren, die an jedem Ort neu evaluiert werden müssen. Zudem kommen ständig neue Kreuzungen auf den Markt. Alleine in unserer Zeit in Hoshino begegnen wir fünf Varietäten, von denen wir noch nie zuvor etwas gehört haben.

Wir schauen unter Strohmatten, nehmen die frischen, weichen Triebe zwischen die Finger und stellen viele Fragen. Wir sind schon beinahe auf dem Weg zurück zum Auto als zwischen den Gärten eine kleine Gestalt auf uns zu kommt. Shinya Yamaguchi begrüsst den alten Mann und stellt ihn uns als Miyahara-san vor. Verdutzt fragen wir uns, ob es wohl derselbe Miyahara-san ist, von dem wir seit vielen Jahren den allerbesten Gyokuro beziehen, den wir im Sortiment führen. Aber die Gegend ist weitläufig und verwinkelt, der Zufall erscheint uns nicht möglich. Herr Miyahara habe mehrmals mit seinem Tee die Goldmedaille im nationalen Wettbewerb geholt, so verfliegen unsere Zweifel. Er ist es tatsächlich. Was für ein Zufall, was für ein Glück. Vor vielen Jahren haben Gerhard und Kaspar Lange Miyahara-san über einen anderen Kontakt besucht. Seither haben wir jedes Jahr kleinste Mengen von seinem aussergewöhnlichen Tee kaufen können. Nun schlendert er uns auf einem abgelegenen Hang zufällig wieder über den Weg. Auf dem Rückweg machen wir einen kurzen Halt bei seinem Haus und werfen einen Blick auf die zwei weissen Pfeiler vor seinem Teegarten, die bezeugen, dass hier zweimal der beste Tee Japans geerntet wurde. Fotos davon sind im Reisebericht Hoshino 2017 zu finden.

Frische Blätter der Varietät Okumidori unter der BeschattungFrische Blätter der Varietät Kirari 31 unter der BeschattungIm Hintergrund aufgegebene Teegärten mit hochwachsenden Teebüschen, vorne neu bepflanzt mit jungen BüschenTraditionelle Beschattung mit ReisstrohModerne Beschattung mit PlastikDiese Büsche werden später beschattet das Gestell steht

Zurück bei Hoshino-Seichaen besichtigen wir die Maccha-Mühlen. Schon in der Nähe des Eingangs zum Produktionsraum steigt mir ein Geruch in die Nase, zu dem mir nichts Vergleichbares einfällt. Im Raum mit den Mühlen explodiert mit jedem Atemzug ein kleines und sehr grünes Feuerwerk in der Nase. Ich freue mich schon auf das Schnuppern an der nächsten frisch geöffnete Macchadose, um mir dieses Erlebnis in Erinnerung zu rufen.

Mit 50 Umdrehungen pro Minute mahlen die Steine den Grüntee gemütlich vor sich hin. Ein spannendes Tempo, schwierig zwischen zügig und gemächlich einzuordnen. Die Mühlen üben diese eigentümliche Faszination aus, die präzise sich scheinbar in die Ewigkeit wiederholende Bewegungen so an sich haben.
In einer Stunde schafft eine Mühle gerade mal 40 Gramm Macchapulver. Das entspricht einem einzigen Döschen des bei uns beliebten Maccha Hoshinotsuyu, der auch von eben diesen Mühlen gemahlen wird. Einmal mehr wird mir klar, warum wir nur 96 Stück pro Monat davon bekommen.

Für Maccha wird nicht normaler Grüntee gemahlen, der wäre viel zu kräftig, sondern ein Tencha genannter Tee. Die Verarbeitung der Blätter ist dem Gyokuro ähnlich, nur dass er nach dem Dämpfen nicht gerollt wird. Zum Schluss wird vor dem Trocknen die Blattrispe, die in der Mitte bis zur Spitze des Blattes verläuft, herausgetrennt.

Da die Blätter beim Mahlen auf kleinste Partikel mit grosser Oberfläche reduziert werden sind sie viel anfälliger auf Oxidation. Mit dem Begriff werfen wir ständig auf dieser Website um uns, es ist aber fairerweise auch einer der wichtigsten chemischen Vorgänge in der Teewelt. Ständig und überall treffen wir sie in jensten Variationen an. Atome, Ionen und Elektronenaustausch, es wird schnell sehr komplex. Sagen wir pauschal: die biochemische Struktur des Teeblattes verändert sich. Wenn diese nicht kontrolliert bzw. verhindert werden bedeutet das beim Grüntee Frische-, Geschmacks- und somit Qualitätsverlust.

Für den Tee heisst das: je leuchtender das Grün des Pulvertees ist, desto besser. Fahles, bräunliches Pulver ist das Ergebnis schlechter Lagerung und oder altem Tee. Frischen von altem Maccha zu unterscheiden ist demnach ziemlich einfach. Auch hier gibt es Ausnahmen wie z.b. der Kama-iri Maccha. Die leuchtende Farbe sagt aber noch nichts über die Qualität des verwendeten Tees aus.
In Japan wird bereits der rohe Aracha, natürlich auch der raffinierte Shiagecha kühl gelagert, meistens bei Temperaturen unter Null. Da tut sich nicht mehr viel mit Oxidation und Aromaverlust. Bei Bedarf wird eine Charge schonend aufgetaut, über einen ca. fünf Grad Celsius kalten Kühlraum, so das nicht zu viel Feuchtigkeit ins Blatt gelangt, und im Falle von Maccha, "erntefrisch" gemahlen. Wenn möglich steht auf unseren Macchadosen das Erntedatum, sowie das Datum an dem der Tee gemahlen wurde.

Die Mühlen laufen etwa zehn Stunden am Tag, wenn die Nachfrage besonders gross ist, laufen sie auch mal über Nacht. Die Maccha von Hoshino-Seichaen zeigen genau das, wofür Tee aus Yame berühmt ist. Elegante Süsse, feine Herbe, volles Umami. Wie bei uns in Bern, wird der Tee von diesem Ort auch in Japan hoch geschätzt. Nicht umsonst stellt die Firma den Maccha für prestigeträchtige Schulen der japanischen Teezeremonie her.

Der Tencha vor dem mahlenEin Mühlstein der Macchamühlen (der zweite Mühlstein wäre dann gegenläufig zum ersten)Die Macchamühlen bei Hoshino Seichaen in Aktion

Nach der Besichtigung der Mühlen gehen wir in ihren Laden gleich um die Ecke. Der wurde erst vor zwei Wochen eröffnet und ist von vorne bis hinten mit unter tellergrosse Blüten ächzenden Orchideen geschmückt. Eine riesige Auswahl von Tee aus Yame und dutzenden verschiedenen mit Tee hergestellten Süssigkeiten. Wir nehmen verschiedene Tees, etwas Süsses und einen handgepflückten Wettbewerbs-Maccha, den es nicht im Grosshandel gibt mit und kehren ins Büro zurück. Es folgt eine kurze Sitzung zu Liefermengen, neuen Ernten, bestehenden Aufträgen und aktuellen Preisen. Sie teilen uns mit, dass die Produktionskosten gestiegen sind, etwas das wir auf dieser Reise immer wieder hören. Zum Abschied bekommen wir einen grossen Sack mit vielen Teemuster und Geschenken, darunter ein Hojicha Sake, also Reiswein mit geröstetem Grüntee. Auch ihr erster Shincha von diesem Jahr geben sie uns mit und so trinken wir, zurück im Ryokan, unseren zweiten Grüntee dieses Jahres, der ganz anders verarbeitet wurde als den, welchen wir in Ureshino probiert haben. Dann Abendessen mit Kenji und Hiromasa bei uns im Ryokan. Es wird viel gelacht und gegessen. Wie immer herrlich, was die japanische Küche alles kann. Frischer Fisch, Gemüse eingelegt, gedämpft, gebraten, gratiniert, fermentiert. Zum Abschluss Miso und Reis. Doch beim Aufstehen fühlt man sich nicht überfüllt, sondern einfach nur gut genährt.
Wir freuen uns immer besonders über die Konsistenz der Gerichte: Spannende Variationen von Gschlabber!

Tobias Hurschler, Kyoto und Tokyo, 16.-19. April 2023

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